Yeah! Rückenwiiiind! Unsere zweite Woche in Frankreich startete mit viel Wind aus der richtigen Richtung. Zwei Etappen hieß es volle Fahrt voraus und wir genossen diesen Ausgleich zu den vorangegangenen doch eher anstrengenden Tagen. Auch hatte die Sonne den Regen verscheucht und wärmte uns tagsüber angenehm.
Unser Weg führte uns zunächst südlich bzw. südwestlich von Dole nach Chalon-sur-Saône und zwar überwiegend entlang der Saône, die in Verdun-sur-le-Doubs auf den Doubs trifft. Ab Chalon folgt der Eurovelo 6 dann westwärts dem Canal du Centre, der sich für einen Kanal ganz schön durch die Landschaft schlängelt. Die kurzen steilen Anstiege vor den vielen Schleusen nahmen wir sportlich – zwischen Chalon und Montchanin macht der Kanal auf etwa 45 Kilometer ganze 140 Höhenmeter (für Boote!) und erreicht dort eine Höhe von 320m über dem Meer, was uns recht beeindruckte.
Dann war’s das mit dem Wind, was uns aber eher gelegen kam, weil sich unsere Route ab Paray-le-Monial gen Nordwesten wendete und auf den heftigen Wind von vorne waren wir nicht sonderlich scharf… Außerdem brachten die Böen eine Menge Astbruch mit sich, der zuweilen etwas unheimlich war, weil wirklich dicke Äste auf dem Weg lagen, die wir nicht auf den Kopf oder in die Speichen kriegen wollten.
Kleiner Nachteil: kein Wind bedeutete ein deutlich nasseres Zelt am Morgen und da die Sonne sich immer erst durch einen dicken Nebel kämpfen musste, nahm der tägliche Zeltabbau seine Zeit in Anspruch.
In Digoin kreuzten wir das erste Mal die Loire. Dort führt der Canal du Centre recht beeindruckend auf einer Brücke über das breite Flussbett. Fahrradfahrer und Fußgänger neben Kanalbooten.
In Gannay-sur-Loire zelteten wir auf einem schönen Hof, der an diesem Abend schicksalhafter Weise boeuf bourgignon auf der Tafel des „table des amis“ stehen hatte. Da waren wir jetzt tagelang an den großzügigen Weiden der Burgunder Charolais Rinder vorbeigefahren und konnten diese beeindruckend kräftigen Tiere beobachten und dann das… Und so entschieden wir, dass es zu Haferbrei und Schonkost-Eintöpfen mal eine Abwechslung brauchte und ließen uns verwöhnen. Nicht selber kochen, kein spülen, gemütlich essen ohne lange Unterhose und Daunenjacke. Fantastisch!
Gut gestärkt kamen wir auch am nächsten Tag wieder flott voran. In Richtung Nevers, wo der offizielle Loire-Radweg anfängt, drückten wir ordentlich aufs Gas, die Strecke entlang des Canal latéral à la Loire war mitunter recht eintönig. Zum einen hatten wir ja bereits einige Kilometer entlang diverser Kanäle hinter uns und zum anderen ist dieser Kanal nicht gerade der schönste. Aber in diesem Abschnitt gibt es selten Möglichkeit an der Loire selbst entlang zu fahren, man sieht sie nur sporadisch.
Im Großen und Ganzen sind wir mit der Streckenführung aber sehr zufrieden. Der Eurovelo 6 ist wirklich sehr gut ausgebaut und ausgeschildert (und es ist einiges los auf der Stecke). Der Radweg vermeidet wohlweislich Straßen so gut es geht: wenn wir uns in Deutschland über jeden dritten bis vierten Autofahrer aufregen, der beim überholen 50cm für 1,5m hält (oder die Regelung immer noch nicht kennt…), so ist der französische Autofahrer in den überwiegenden Fällen der Meinung, solange noch eine Handbreit Platz bleibt zwischen Außenspiegel des Autos und Ellbogen des Radfahrers, ist alles gut. Gegenverkehr, Verkehrsinsel, enge Einbahnstraße – egal! Vielleicht ist es auch deshalb hier durchgängig so, dass der Radweg, wenn er einen von Kraftfahrzeugen genutzten Weg kreuzt (egal welchen, das kann auch ein Wirtschaftsweg oder eine Hofeinfahrt sein), nie Vorfahrt hat: Stoppschilder ermahnen den Radfahrer zum anhalten, wann auch immer ein Auto den Weg kreuzen könnte. Interessanterweise sind an diesen Stellen die beim Überholen so rücksichtslosen Autofahrer wiederum extrem zuvorkommend, halten an, obwohl sie Vorfahrt hätten, nicken freundlich und winken die Radler quasi immer durch. Wir fragen uns, bedeutet das nun, dass die Franzosen eigentlich nix gegen Radfahrer haben, aber einen Überholvorgang mit 10cm Abstand bei 70km/h einfach nur nicht als bedrohlich empfinden? Wenn ja, fahren sie selbst definitiv zu selten Rad!
Was uns am Eurovelo 6 auch gefällt: je weiter wir ins Landesinnere vorstoßen und auf dem Loire-Radweg unterwegs sind, desto mehr schöne Übernachtungsmöglichkeiten bieten sich den Radfahrern. Und zwar neben diversen Chambres d’hôtes, Herbergen und kleinen, netten Holzhüttchen auch Zeltplätze, die sich explizit an die Radtouristen wenden, keine großen Campingplätze, wo man mit dem Zelt zwischen Wohnmobilen übernachten muss. Insbesondere die kleineren Gemeinden, die nicht touristisch attraktiv genug sind für einen „richtigen“ Campingplatz, scheinen in den Radtouristen ihre Klientel zu finden und richten kleine „Velo-Camping“ ein. Das schöne: hier gibt es in der Regel einen wettergeschützten Aufenthaltsraum mit Mikrowelle und Kühlschrank und die Toiletten und Duschen sind, soweit wir das bis jetzt beurteilen können, zwar ähnlich einfach wie auf den klassischen Campingplätzen, aber sauberer und gepflegter. Ersteres gilt an der Loire tatsächlich auch für viele „normale“ Campingplätzen, die das Siegel „acceuil vélo“ tragen, letzteres leider nicht… Alles in allem ist Zelten in Frankreich recht günstig, man darf aber nicht zimperlich sein und Klobrillen darf man auch nicht erwarten 😉
A propos zimperlich: Nach fünf Tagen Sonnenchein scheint Petrus im übrigen wohl beschlossen zu haben, dass wir genug Sonne zum Ausgleich hatten und wechselte vom Spätsommermodus wieder zurück in denn Herbst mit Regen und Gegenwind. Wir sind eigentlich nach wie vor der Meinung, besseres verdient zu haben, aber wir sind hier halt nicht bei „wünsch dir was“, sondern bei „so ist es“… Die Loire Schlösser machen sich auch vor silbergrauen Regenwolken gut, bringt eine gewisse Dramatik in die Szenerie ;-). Zugegeben halten wir uns momentan aber wenig mit den alten Gemäuern auf, zu sehr locken der Atlantik und die Hoffnung auf wärmeres Wetter im Süden. Etwas schmunzeln mussten wir über die zahlreichen Kühltürme der vielen Atomkraftwerke, die hier an der Loire zwischen den vielen Schlössern aufragen: die monumentalen Auswüchse unterschiedlicher Zeitalter in trauter Nachbarschaft…. Windräder haben wir übrigens noch nicht entdecken können (und auch nur wenige kleine Solarflächen), obwohl die weiten Weideflächen dafür viel Platz böten und Wind wäre auch genug da.
Trotz unserer Skepsis gegenüber „Sakralbauten“, die historischen Stadtansichten von Sully, Blois und Tour mit ihren Schlössern und Kathedralen genossen wir im vorbeifahren schon. In vier Etappen ab Nevers sind wir gestern in Saumur angekommen, wo mal wieder ein Pausetag anstand mit Wäsche waschen und kleiner Stadtbesichtigung (bei strömendem Regen). Auf dem Weg hierher haben wir schon einige sogenannte Troglodyten bestaunt, Wohnhöhlen, die beim Abbau des Tuffkalksteins im 15. und 16. Jahrhundert entstanden sind und heute noch teilweise als Lagerräume genutzt werden oder auch als Café, Künstlerstelier oder Ferienwohnung. Das gefällt uns irgendwie besser als die Schlösser und Kirchen, für die der Tuffstein angebaut wurden und von den Steinmetzen kunstvoll behauen.
Jetzt wappnen wir uns für die nächsten Tage: die Météo sagt, das Wetter wird schlechter… wir fragen uns: wie soll das gehen, es pisst doch heute schon den ganzen Tag? Ach so: Morgen soll es Sturm geben, natürlich von Westen… das heisst noch mehr Gegenwind und weiterhin ein feuchtes Zelt und nasse Schuhe… Der Franzose würde sagen: „on a pas le choix“, oder wahlweise auch „bon courage!“. In 2-3 Tagen könnten wir den Atlantik erreichen, je nach Wetter 😉