Portugiesische Herausforderungen
Portugiesische Herausforderungen

Portugiesische Herausforderungen

Die Tage sind inzwischen merklich kurz und unsere Etappen immer häufiger ebenso, weil wir keine Lust haben jeden Morgen im Dunklen und ggf. bei ziemlich frischen Temperaturen abzubauen und Abend im Dunklen wieder auf. Ganz vermeiden lässt es sich nicht: die Sonne geht kurz nach 7 auf und kurz nach 5 wieder unter…(in Portugal gilt ja Greenwich Meantime und wir durften also Ende Oktober 2x die Zeit umstellen, erst von Sommer auf Winter und dann von MEZ auf GMT). Gekocht wird also mit Stirnlampe. Es ist interessant, wie der Körper sich an die kurzen Tagen anpasst, wenn man mit wenig künstlichem Licht auskommen muss und es abends schnell kühl, feucht und ungemütlich wird draußen: um halb zehn in die Schlafsäcke kriechen fällt uns nicht schwer und mal leuchtet das ebook dann noch eine Weile, mal auch nicht. So kommen wir i.d.R. auf beneidenswerte 8-9h Bettruhe, wobei man im Zelt ja selten durchschläft, das wissen Motorradfahrer, LKWs, bellende Hunde, streunende Katzen und andere Plagen zu verhindern…

Ansonsten bestimmt nicht nur das schwindende Tageslicht unsere Tagesabläufe und Routenplanung mit, sondern auch die Topographie und Verfügbarkeit von Campingplätzen im nordöstlichen Hinterland Portugals machte uns zu schaffen: Wenn 50 Steckenkilometer rund 1.000 Höhenmeter bedeuten, darf man keine zu langen Etappen planen. Aber was machen, wenn der nächste Campingplatz über 100km weit weg ist bzw. die meisten Campingplätze Winterpause haben? 

Nachdem wir vor gut zwei Wochen in Mogadouro vor dem geschlossenen Campingplatz standen (der laut Homepage hätte geöffnet sein sollen) und der für den nächsten Tag angepeilte in 65km und 1.300hm Entfernung vielleicht ebenfalls zu sein könnte (wovon ausgehen, wenn niemand ans Telefon geht?), mussten wir uns an unserem zweiten Tag in Portugal eine (sehr schöne!) Ferienwohnung mieten und den Abend mit Routenplanung zubringen: Komplett durch diese schöne aber eben sehr bergige Landschaft nach Porto zu radeln, stellte sich mangels Campingplätzen als sehr schwierig heraus. Und so eine Ferienwohnung ist ein willkommener Luxus zwischendurch, aber auf Dauer nicht das was wir – als glückliche Neu-Besitzer eines Luxus-2-Zimmer-Zeltes – wollen. Außerdem geht das auf Dauer auf den Geldbeutel. 

Weil ausreichend geöffnete Campinplätze nur an der Küste zu finden sind, entschieden wir uns daher dafür von Mogadouro durch die Berge erst südlich und dann westlich nach Torre de Montecovo zu radeln und von da runter ins Douro-Tal, um dort ein paar Stationen mit der berühmten Panorama-Bahn Linha do Douro Richtung Porto bzw. Küste zu fahren.

Die Etappe bis dorthin war herrlich, sehr bergig aber nicht zu steil, mit tollen Aussichten. Zunächst schlängelten wir uns auf ruhigen Sträßchen durch die engen Täler und über die vielen Berge und konnten dabei einen guten Eindruck gewinnen, wie die Landbevölkerung lebt und mit welchen einfachen Mitteln jeder kleinste brauchbare Fleck Erde als Acker genutzt wird. Hier ein paar Kürbisse, dort ein paar Olivenbäume, so wie es die steilen Hänge eben zulassen. Man sieht kleine Traktoren ebenso wie Bauern, die die Saat von Hand ausbringen oder mit einfachsten Maschinen Getreide dreschen. In den Dörfern spiegelt sich das einfache Leben im Zustand der Häuser: viele Ruinen neben ebenso vielen baufälligen aber noch bewohnten Häusern und hin und wieder schön renovierte Gebäude und neu gebaute Häuschen, groß und protzig sieht man selten. 

Bereits in Spanien nahm der sichtbare Verfall in den Dörfern und Städten zu, je weiter wir ins Landesinnere vordrangen und vor allem nachdem wir den Camino verließen. Dort waren uns vor allem verlassene und verfallene Industrieanlagen aufgefallen. Deutlich konnten wir aber sehen, dass in Portugal das Geld noch spärlicher vorhanden ist, vor allem im Hinterland wo die Menschen überwiegend von der einfachen Landwirtschaft leben oder die Selbstversorgung einfach dazu gehört. 

Die zweite Hälfte der Etappe ins Douro-Tal folgte dann überwiegen bergab auf einem tollen Radweg auf einer stillgelegten Bahnstrecke. Die alten verfallene Bahnhöfe, an deren Fassaden teilweise noch aufwändig bemalte Kacheln, die Azulejos,  zu sehen waren, zeugten von einer reicheren Vergangenheit Portugals. 

Tags drauf bestiegen wir am Endbahnhof Pocinho die Linha do Douro. Geplant hatten wir, das Stück, wo es im Douro-Tal praktisch keine Straßen gibt, mit dem Zug zu fahren und dann auf dem Rad durch die Weinberge bis zu einem Campingplatz. Wäre da nicht ein Bahnstreik gewesen… Statt um 11 konnten wir erst um 13 Uhr fahren und so fehlten uns zwei Stunden für die geplante Etappe und wir mussten wieder abwägen und umdisponieren: mehr Radkilometer durch die Weinberge des Duoro aber schon wieder Ferienwohnung statt Zelt, oder etwas weiter mit dem Zug fahren und von da eine verkürzte Etappe zum anvisierten Camping? Irgendwo einkaufen mussten wir ja auch noch, zumal der Feiertag vor der Tür stand, und da hier nicht jedes Dorf einen Supermarkt hat, kann auch das schnell mal einen Umweg von 10km und 300hm bedeuten… Wir verließen uns darauf, dass die Aussicht aus dem Zugabteil ähnlich gut sein würde, wie vom Rad und entschieden  uns also gegen die Ferienwohnung, für die längere Zugfahrt und die gekürzte Etappe: nur mal eben 400hm rauf auf den Berg zum Einkaufen und wieder runter zum Campingplatz, der uns mit seiner wirklich schönen Lage am Berghang mit tollem Blick ins Tal belohnte.

Ziemlich grässlich wurden dann dir beiden Etappen nach Porto (fairerweise muss man sagen, vor allem die letzte hatte es unangenehm in sich) und hätten wir es vorher gewusst, wären wir vielleicht im Zug sitzen geblieben… Aber hinterher ist man immer schlauer oder wir sind nun eine Erfahrung reicher und leben noch 😉 Wir hatten ja schon damit gerechnet bzw. befürchtet, dass wir den schöneren Teil des Douro Tals (praktisch gezwungenermaßen) im Zug passiert hatten, und nun den weniger schönen, weil dichter besiedelten, durchradeln würden. Nicht gerechnet hatten wir aber mit einem so dichten und vor allem so rücksichtslosen Verkehr – das war bei unserer letzten Portugalreise vor 10 Jahren deutlich entspannter. Seit die große Immobilienkrise weitgehend überwunden ist, scheint vor allem in den Städten wieder Geld da für Unnötiges und so treffen sich auf den Straßen geisteskranke Motorrad- und Autofahrer zum Schaulaufen, je schneller durch die Kurven und lauter im engen Tal desto gut… Andere (langsamere, schwächere) Verkehrsteilnehmer (wie z.B. Radfahrer) dienen dabei maximal als Herausforderung für gewagte Überholmanöver als Beweis der eigenen Überlegenheit… Kurve, Kuppe, Gegenverkehr? Was soll’s! Wir waren ziemlich erstaunt, wie viele Rennradfahrer sich Sonntags in diesen mörderischen Verkehr wagen. Aber auch hier scheint gesehen zu werden das A und O, denn je kleiner und ruhiger die Straße, desto weniger Rennradler waren plötzlich unterwegs. Todesangst scheint hier nachrangig. Je mehr wir uns der Küste näherten, desto gruseliger wurde es. Hinzu kamen mörderisch steile Rampen mit 20-25% Steigung, vor allem immer dann, wenn wir auf etwas ruhigere Nebenstrecken ausweichen wollten, die dann zudem gerne Kopfstein gepflastert statt asphaltiert waren… Hier war wenigstens die Luft etwas besser und der Verkehrslärm geringer, dafür kläffte uns aus jedem Vorgarten mindestens ein aggressiver Wachhund an und nicht immer war das Tor zu und wir mussten um unsere Waden fürchten. Hunde scheinen hier wie Autos und Motorräder ein unverzichtbares Statussymbol zu sein. Ob das so ist, weil es hier tatsächlich viele Einbrüche gibt, die nur so verhindert werden können, oder weil der Hund den Anschein erweckt, es gäbe was zu bewachen, also dem Nachbarn und allen anderen quasi als Beweis für vorhandenes Eigentum dient – wir wissen es nicht. 

Endlich in Porto angekommen war die flache Radroute entlang des Douro wegen des stattfindenden Marathon gesperrt und wir durften hier nochmal im dichtesten Stadtverkehr den Berg rauf und dann durch eine mit Menschen verstopfte Innenstadt wieder runter zum Fluss. Das lange Wochenende von Allerheiligen, das sehr gute Wetter, die Marathonveranstaltung: kein guter Tag um in der historischen Altstadt entspannt einen Kaffee zu trinken, das Flair der engen Gassen in sich aufzunehmen und die morbide Schönheit der Stadt wirken zu lassen. Zum Glück haben wir uns Porto vor 10 Jahren in Ruhe angesehen – damals ziemlich genau zur gleichen Jahreszeit aber bei nasskalten Herbstwetter und unter der Woche… Wir konnten also ohne das Gefühl etwas zu versäumen die Stadt hinter uns lassen und zur Küste weiter fahren – u.a. durch große Neubaugebiete mit edlen Apartmenthäusern und luxuriösen Villen, die wir vom letzten Mal noch nicht kannten. 

Abends waren unsere Lungen geteert und der Adrenalinpegel brauchte eine Weile, um sich zu normalisieren. Was freuten wir uns auf die kommenden Etappen entlang der Küste: kaum Höhenmeter und Radweg statt Straße! 

Zwei Tage lang folgten wir dem Eurovelo 1 durch Pinienwälder und Dünen, ein paar Höhenmeter und Regentropfen waren auch dabei – es sollte uns ja nicht langweilig oder zu gemütlich werden 😉

Nachdem uns unser Freund Chico die Universitätsstadt Coimbra als Tübingen Portugals schon für unsere Reise vor 10 Jahren ans Herz gelegt hatte und wir den Abstecher damals nicht geschafft hatten, sind wir diesmal dann in Figueira da Foz entlang des Flusses Mondego ins Landesinnere abgebogen und haben einen schönen Tag in der studentisch geprägten, netten Stadt verbracht: eine schöne Altstadt mit engen Gassen, viele Cafés, Bars, Kneipen und unzählige kleine Restaurants. Hier holt man sich sein Mittagessen nicht an der Dönerbude oder in einem anderen Imbiss und schlingt es im Stehen oder Gehen runter, sondern sitz beisammen, einfach aber gemütlich. Und bezahlbar?! Für uns allemal: Tagesgerichte ab 6-7 Euro und ein Bifana, ein Brötchen mit Steak, gibt es für unter 2,- Euro, der Espresso kostet 90 Cent! Aber wir beobachteten z.B. auch einen älteren Herren, wie er sich die ausgetretene Zigarette eines anderen Mannes sicherte, und schließen nicht nur aus dieser Situation, sondern vielen vergleichbaren, dass hier die Schere zwischen arm und reich nochmal eine ganz andere ist als bei uns (bzw. die Schere zwischen arm und „normal“) und viele von einem Niveau vergleichbar zu Harz IV nur träumen können. Entsprechend sehen wir in den Gassen neu renovierte Häuser, die oftmals auch eine Ferienwohnung ausweisen, neben komplett baufälligen und teilweise verfallenen Häusern, wo mitunter nicht klar ist, ob noch bewohnt oder nicht. Es wird viel gebaut in Coimbra aber bis die Ruinen verschwunden sind, wir es noch lange dauern. Die junge Generation jedenfalls scheint hier nicht viel anders unterwegs zu sein, als in Tübingen, Freiburg oder Heidelberg – jedoch gänzlich ohne Fahrräder, denn die Stadt ist wirklich bergig und das Ebike noch nicht so verbreitet und die Studierenden anscheinend zu faul oder zu klug sich die steilen Rampen pedalierend raufzuquälen ;-). Wir saßen eine ganze Weile vor der geisteswissenschaftlichen Fakultät und schauten uns schmunzelnd das Treiben an.

Zurück zur Küste ging es dann wieder weitgehend auf dem gleichen Weg. Wir hatten in Erwägung gezogen, die Naturparks im Osten Coimbras zu erkunden, aber angesichts mal wieder fehlender Campingplätze sowie der beachtlichen Höhenmeter und Steigungsprozente auf den Strecken, sind wir davon wieder abgekommen. Zu sehr hatten uns die Rampen auf dem Weg nach Porto die Energie aus den Oberschenkeln gesaugt. So ist es leider, wenn man statt auf einem 10-Kilo-Sportrad auf einem vollbeladenen Reiserad mit 50kg sitzt und dann ist da noch der Unterschied zwischen dynamischen 25 und 50… Wir werden halt alle nicht jünger ;-).

Da konzentrieren wir uns doch lieber auf die Küste und freuen uns auf weitere Tage, an denen wir bei milden Temperaturen dem Rauschen der Brandung lauschen dürfen. Und das Wetter macht auch mit! Kaum Regen, viel Sonne und wir hatten bislang ziemlich Glück mit dem Wind, der sogar gelegentlich schiebt, aber vor allem nicht mit voller Kraft von vorn bläst! Entsprechend lag der Atlantik in Nazare eher ruhig da, kaum vorstellbar, dass der Ort für seine Monsterwellen bekannt ist, in die sich nur ganz wenige Surfer wagen. Aber auch so sind die Stecken nicht ohne, Portugals Küste ist alles andere als flach und wo man im Winter kein Glatteis fürchten muss, sind Serpentinen halt unnötig… Und wenn es darum ginge, voranzukommen statt das Land zu erkunden, käme man sich manchmal ziemlich verar… vor, wenn man 20km und 300hm bewältigt, um weniger als 1km Luftlinie entfernt auf der anderen Seite einer großen Lagune zu stehen: da drüben haben wir vor 1,5h Kaffee getrunken! Aber die Ausblicke in den Buchten sind Belohnung für kleinere Strapazen. Und die Etappe von Nazare bis Peniche (ein weitere Surfer Hotspot) war insgesamt sehr abwechslungsreich und führte uns durch Weinberge, Pinien- und Eukalyptuswälder, entlang besagter Lagoa de Óbidos sowie durch schicke Ferien-Ressorts – Luxusapartments und Golfplätze für die Schönen und Reichen und die ganz schön Reichen.

In Peniche haben wir uns die Festung angesehen und das Museum für Widerstand und Freiheit. Die Festung wurde während der Diktatur Salazars als Gefängnis für politische Gegner genutzt und zeigt die Grausamkeiten des repressiven Estado Novo eindrucksvoll. Es ist kaum vorstellbar, dass die faschistische Diktatur Salazars erst vor 50 Jahren mit der Nelkenrevolution ein Ende gefunden hat! Und Gleiches gilt für die Diktatur Francos in Spanien, die bis 1975 andauerte. Das sind Kapitel europäischer Geschichte, über die wir in Deutschland eigentlich viel zu wenig wissen, da es bei uns immer nur um das Dritte Reich und die deutsche Schuld geht. Wie sehr das aber alles zusammenhängt und wie viele Faschisten in Europa lange das Sagen hatten, ist wenig präsent. Und wenn man sich die aktuellen Tendenzen in so vielen Ländern anschaut wird einem Angst und Bange.

Nach dem eher bedrückenden Museumsbesuch und einer kurzen, intensiven Etappe ist heute Pausetag in Ericeira angesagt, bevor es morgen weiter Richtung Lissabon geht. Wir genießen den Blick auf die Steilküste und lassen uns von der Sonne wärmen. Auch in den nächsten Tagen wollen wir kurze Etappen machen und uns viel Zeit lassen. Hinter uns liegen immer noch genug Tage, an denen der Fokus noch zu sehr auf dem vorankommen lag. Wie schwierig es ist wirklich zu Entschleunigen und das „wir müssen“ oder „sollten“ abzustellen…

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