Regionale Unterschiede lassen sich ja an unterschiedlichsten Dingen feststellen: am Dialekt, kulinarischen Spezialitäten, der Architektur, … oder eben auch an der Bedeutung, die dem Radverkehr und respektive den Radtouristen beigemessen wird. Als wir die Region Alentejo verließen und bei Odeceixe in die Algarve hineinfuhren, war sie auf einmal da: eine sichtbare Radverkehrsinfrastruktur! Schilder nicht nur für den Eurovelo 1 sondern auch für Radwege zum nächsten Dorf, Strand oder Aussichtspunkt und solche, die die Autofahrer darauf hinweisen, dass die Straße nicht ihnen allein gehört, sondern mit den Radfahrern zu teilen ist! „Richtige“ (reine) Radwege neben oder abseits der Straßen gibt es auch, und wo möglich führt der Eurovelo auf Wirtschaftswegen und Nebenstraßen mit wenig Verkehr. Im Radlersinnne wahrhaft paradiesische Verhältnisse für Portugal und das Ganze führt dann auch noch durch eine wunderschöne Landschaft. Was will man mehr?! Da die westliche Algarve noch zum Naturpark Südwest-Alentejo und Costa Vicentina gehört, hat es hier der Massentourismus noch nicht geschafft, die Küste kaputt zu machen, und an den bis zu 90 Meter hohen Carrapateira-Klippen mussten wir zig mal anhalten und konnten uns doch nicht sattsehen und satthören. Und auch das Hinterland bot uns wunderschöne Wegstrecken durch schöne Landschaft, mal wieder nicht ganz ohne kraftfordernde Anstiege und technisch anspruchsvolle Abfahrten, aber durchweg sehr lohnenswert.
Aber trotz gemütlichem Tempo und reichlich Landschaftsgenuss waren wir dann doch auf einmal unten an der Südwestspitze des europäischen Festlandes. Wir waren ja vor 10 Jahren schon einmal am Cabo de São Vicente und der Ponta de Sagres und waren dieses Mal nicht ganz so beeindruckt, vielleicht auch weil wir ja schon Tage an der Steilküste unterwegs waren und dort die Klippen genauso schön sind und wir sie oft fast für uns alleine hatten, während die Klippen bei Sagres voller Touristen sind. Trotzdem ist es ein besonderes Gefühl so am Rand zu stehen: westlich und südlich nur Meer. Weiterfahren bedeutet zurückfahren. Auch wenn es von hier aus noch etwas südlicher geht, so nähern wir uns ab jetzt doch wieder Tübingen und haben den Wendepunkt unsere ersten Südrunde erreicht. Seither antworten wir, wenn wir mal wieder nach unsere Reise gefragt werden: wir sind auf dem Weg ans Nordkap!
Ende November kehrten wir der Westküste Portugals also den Rücken zu – mit einiger Wehmut aber auch voller Vorfreude auf Andalusien und wieder mehr Berge und weniger Küste, neue Landschaften. Die südliche Algarve half uns dann auch dabei, die Wehmut schnell zu überwinden und uns das „Strandleben“ abzugewöhnen. An der Küste zwischen Lagos und Faro reihen sich Hotels und Apartmenthäuser aneinander und man kann fast froh sein, dass Golf bei den Touristen aus Großbritannien und Deutschland so hoch im Kurs steht, so bleibt dann doch etwas Grünfläche erhalten. Trotz ganz ordentlicher Radwege war dieser Abschnitt kein Vergnügen für uns und wir waren froh, als wir ihn hinter uns hatten. Und so was nennt sich Urlaubsparadies? Die Ostalgarve mit dem Naturpark Ria Formosa zwischen Faro und Tavira war dann wieder deutlich ruhiger und landschaftlich schöner, wenn auch lang nicht so spektakulär wie die westliche Algarve.
Und dann begrüßte uns, nach genau fünf Wochen durch Portugal, Spanien mit Orangen- und Olivenbaum-Plantagen und sehr abwechslungsreichen Etappen: Tag 1 in Andalusien bewies mal wieder, dass die Frage nach den pro Tag zurückgelegten Kilometern, die jede(r) Radreisende ständig beantworten muss, relativ unsinnig ist, weil der genannte Schnitt oder die genannte Spanne einfach wenig aussagekräftig ist. Mal abgesehen davon, dass es ja sowieso nicht darum geht, schnell zu sein oder pro Tag möglichst weit zu kommen, gibt es Tage an denen laufen 100 Kilometer wie am Schnürchen und an anderen Tagen reichen 5 Kilometer um eine vermeintlich entspannte 50-Kilometer-Etappe zu einer tagfüllenden, anstrengenden Herausforderung zu machen.
Neben den guten Gründen, langsam durch eine Gegend zu fahren (Sehenswürdigkeiten, Aussichtspunkte, Pausen, Begegnungen mit anderen Reisenden oder Einheimischen), gibt es nämlich zahlreiche, oft weniger wünschenswerte Faktoren, die bei der Reisegeschwindigkeit ein Wörtchen mitzureden haben: Topographie (Höhenmeter, Steigungsprozente), Wetter und Jahreszeit (Wind, Regen, Kälte, Tageslicht), Infrastruktur (Entfernung zum nächsten Campingplatz), Verkehr (Ampeln, Fähren und ihre Fahrzeiten, Schafherden) und ja, die Wegebeschaffenheit an sich (Sand, Sumpf, Klettersteig). Anscheinend haben die spanischen Eurovelo Verantwortlichen, die ansonsten einen wirklich guten Job machen, das letzte Stück Richtung Portugal einfach noch kurz am Reißbrett hingepfuscht, ohne den Weg je begutachtet zu haben. Den Hindernisparcours gibt es gleich hier in der Galerie zum „nachfahren“. Und später dann noch ein kleiner Bilderexkurs in Sachen „es muss nicht regnen, um morgens in einer Tropfsteinhöhle aufzuwachen“, oder warum zwischen Weckerklingeln und Abfahrt auch mal mehr als drei Stunden vergehen können.
Kultur und südspanische Lebensart gab es dann in Sevilla. Am Tag der Verfassung waren die Straßen voller Leben und wir schlenderten den ganzen Tag durch die wirklich sehenswerte Altstadt, bestaunten die Kathedrale mit ihrem maurischen Glockenturm La Giralda und die vielen anderen historischen Gebäude und beobachten das muntere Treiben der herausgeputzten Spanier. Außerdem genossen wir nach vielen Wochen im Zelt für zwei Nächte den Komfort eines Hotelzimmers und gutes spanisches Essen im Restaurant. Thomas war es zu trubelig und im Nachhinein hätte er auf den Städtetrip auch verzichten können, nur dass er dann den verrückten Iren und sein Speialrad nicht getroffen hätte, was sehr schade gewesen wäre. Meike hat die Abwechslung ganz gut gefallen, auch wenn der Aufwand ein bezahlbares Hotel zu finden, dass nicht nur zwei Radreisende beherbergen wollte, sondern auch ihren Rädern einen sicheren Unterschlupf zu bieten hatte, im Vorfeld ziemlich ätzend und zeitintensiv war. Beeindruckt hat uns zudem die für Spanien vorbildliche Radinfrastruktur in der Stadt. Es gibt wirklich viele Radwege. Nur dass man die Ampeln auch so schalten kann, dass Radfahrer und Fußgänger nicht immer minutenlang auf Grün warten müssen, könnten die Verkehrsplaner noch lernen.
Nach dem Sevilla-Abstecher wendeten wir uns wieder gen Küste, denn im Landesinneren lagen die Campingplätze mal wieder zu weit auseinander mit zu vielen, zu hohen Bergen dazwischen… So durften wir durch Cádiz radeln, was sehr lohnenswert war, und folgten von da an dem Eurovelo 8 Richtung Osten. Vor zwei Tagen konnten wir kurz vor Tarifa nach Afrika rüberschauen. Ein irres Gefühl, wenn ein anderer Kontinent Luftlinie näher ist, als das nächste Etappenziel! Dann ging es durch herrliche Landschaft nördlich vorbei an Gibraltar und jetzt sind wir am Mittelmeer angekommen!
Noch ein paar Tage werden wir jetzt der Küste folgen, um dann Richtung Granada abzubiegen. Für die Weihnachtswoche haben wir uns eine Ferienwohnung bei Guadix gemietet. Viele Campingplätze sind zwischen den Jahren geschlossen und bei der Kälte, die hier mittlerweile auch herrscht, freuen wir uns auf ein paar Tage in festen Wänden und mit Heizung. Tagsüber in der Sonne ist es wunderbar angenehm, aber bei 4 Grad frühstücken ist schon anspruchsvoll… und in den Bergen wird es ja noch kälter. So werden wir außerdem die Möglichkeit haben, die großartige Landschaft um Guadix und die Wüste Gorafe ohne Gepäck auf den Rädern zu erkunden.
Wie es dann weiter geht ist mal wieder abhängig von Wetter und Infrastruktur. Für Minusgrade sind wir (zumindest nicht dauerhaft) ausgerüstet und entsprechend müssen wir sehen, wie weit weg vom Meer wir uns bewegen können/dürfen. Einige Deutsche, die seit Jahren in Andalusien auf den Campingplätzen überwintern, haben uns erzählt, dass die Winter in Südspanien in den letzten Jahren immer kälter und nasser wurden – der Klimawandel lässt grüßen? Regen haben wir bislang zwar kaum abbekommen, mal von der Sinnflut letzte Nacht abgesehen, aber es ist tendenziell aktuell schon kälter als von uns erwartet oder erhofft und das lässt uns leider befürchten, dass unsere Wunschroute durch Landesinnere nicht realisierbar ist. Wir werden es auf uns zukommen lassen!