Ein ganzes Jahr Friluftsliv!
Ein ganzes Jahr Friluftsliv!

Ein ganzes Jahr Friluftsliv!

Die Norweger haben sogar ein eigenes Wort dafür, was uns am Reiseradeln so gefällt und warum uns Skandinavien so sehr begeistert: Friluftsliv. Hier ist „Leben im Freien“ – u.a. auch durch das Allemannsretten (Jedermannsrecht) – nicht nur möglich sondern wird geradezu gefördert und geschätzt, ist Teil der Kultur und Lebenseinstellung. 

Friluftsliv beschreibt die tief verwurzelte Naturverbundenheit der Norweger, wobei wir diese Lebenseinstellung nicht als typisch norwegisch bezeichnen würden, sondern als in Skandinavien insgesamt weit verbreitet.

Es geht darum, Zeit in der Natur zu verbringen, sie aktiv mit allen Sinnen zu erleben, sei es beim wandern, radfahren, paddeln, angeln, langlaufen und vor allem auch auch beim übernachten unter freiem Himmel, mit Zelt oder ohne, an einem Fjord oder See, auf einer schönen Wiese, oder mitten im Wald. Friluftsliv basiert auf der Überzeugung, dass ein Leben in und mit der Natur die körperliche und geistige Gesundheit fördert, ebenso wie den Respekt für die Natur und das Verantwortungsgefühl für ihre Erhaltung, und versteht die Natur als Quelle der Inspiration, Entspannung und Lebensfreude.

Auch wenn man heutzutage das Freiluftleben Vieler bei YouTube, Instagram und auf Blogs wie unserem verfolgen kann, kennt Friluftsliv keinen digitalen Ersatz, kann nicht als App runtergeladen werden und ist kein Konsumgut, das online geordert und kostenfrei nach Hause geliefert wird. Nein, für Friluftsliv muss man, wie der Name sagt, raus gehen und sich einlassen. Eigentlich total einfach und jede/r kann es so gestalten, wie es passt und sich gut anfühlt. Friluftsliv fordert einen aber auch heraus, kann unbequem und anstrengend sein, es beinhaltet mitunter schwitzen und frieren, vielleicht Muskelkater, Regen oder Wind im Gesicht, und je nachdem leider auch Mücken, Notdurft im Wald, waschen im kalten Bach und andere (Un)annehmlichkeiten.
Es wird so viel darüber gesprochen, welche gesundheitlichen Folgen die exzessive Mediennutzung hat. Wie schön wäre es, doch wenn in Deutschland das Leben im Freien weniger strikt reglementiert würde und als Gegenpol zu unserer immer digitalisierteren Umwelt und unserem digitalen Leben gefördert würde.

Die große Lust auf möglichst viel Friluftsliv ist es wohl, was uns zu unserer Radreise brachte. Mehr als der Wunsch, ferne, fremde Länder zu erkunden und tief in unbekannte Kulturen einzutauchen. Für uns stand und steht das Naturerlebnis im Vordergrund, verbunden mit den Menschen, denen wir begegnen. Und das seit nunmehr ziemlich genau einem Jahr!! 

Seit 12 Monaten sind wir also schon auf unseren Rädern unterwegs (mal abgesehen von den 8 Wochen Winterpause). Unglaublich! 

Meistens fühlt es sich viel länger an, weil wir sooo viel erlebt haben und gleichzeitig können wir nicht glauben dass zum Beispiel unser Ausflug in die Gorafe Wüste schon ein halbes Jahr her ist, es fühlt sich an als wäre das vorletzte Woche gewesen. Auf jeden Fall rast die Zeit nicht mehr so, wie zu FahrRadLaden Zeiten und wir sind herrlich geerdet und entspannt. 

Und grundsätzlich zufrieden mit unserer Reise, auch wenn es, wie immer im Leben, oft anders kommt als gedacht und man dauernd was zu meckern findet (wie hier vielfach zu lesen), weil Wetter, Ausrüstung, die Camping-Infrastruktur, die Radwege, der Verkehr, Komot oder auch mal der/die andere nicht mitmachen wie gewünscht 😉. Nicht alles lief immer nach Plan. Aber wir wären nicht da wo wir es jetzt sind und hätten nicht das Gleiche erlebt, wenn es immer nach Plan gegangen wäre. Und haben wir nicht immer gesagt, wir hätten keinen Plan und würden einfach von Tag zu Tag sehen, was kommt? …

Jedenfalls haben wir in den letzten Wochen immer wieder feststellen müssen, dass es letztlich ein Glück war, dass wir nicht rechtzeitig im Frühjahr 2024 losgekommen sind, um unsere Reise wie ursprünglich geplant mit der Nordrunde zu beginnen, sondern mit der Südrunde gestartet haben: nach einem Radreise-Sommer in Skandinavien, wie wir ihn gerade erleben dürfen, hätten wir auf der iberischen Halbinsel im Winter mit ziemlicher Sicherheit frustriert abgebrochen. Nicht wegen des Wetters und der kühlen Temperaturen 😉 und nicht weil uns Portugal und Spanien nicht gefallen haben – wir durften dort wunderschöne Landschaften entdecken und tolle Abenteuer erleben -, sondern weil wir vor allem in Spanien so sehr vermisst haben, was Skandinavien uns erlaubt und bietet: Wild Zelten in abgeschieden Landstrichen, statt auf einem geschotterten Campingplatz eingepfercht zwischen Wohnmobilen, (relativ) wenig Verkehr, unverbaute Küsten statt Touri-Hochburgen, Menschenleere, Ruhe, Wildtiere, Natur, Natur, Natur. Friluftsliv eben! Auch in Spanien gibt es dünn besiedelte, schöne Ecken, wo ein ähnliches Reisen möglich ist – drum heißt es ja auch Spanisch Lappland – aber eben nicht im Winter, da müssen wir im Frühjahr oder Herbst nochmal hin. Und dann macht es für uns schon einen wichtigen Unterschied, ob es erlaubt ist, völlig selbstverständlich und geradezu begrüßt wird, wenn Wanderer, Radler oder Paddler (und inzwischen immer mehr Autofahrer) ihr Zelt in der Natur aufstellen und so ein Land erkunden, oder ob man sich eher bedeckt halten sollte, wenn man sein Zelt wild aufschlägt, weil es offiziell verboten ist und man nur hoffen kann, dass es bestenfalls nicht bemerkt oder geduldet wird. 

Auf unserer Südrunde hatten wir ja oft das Gefühl – trotz allem entgegengebrachten Respekt und der Bewunderung – belächelt, bedauert und für bescheuert erklärt zu werden, egal ob von den Einheimischen oder den anderen Touristen, deren Hauptanliegen es war, dem deutschen Winterwetter zu entkommen und die wenig Interesse an Land und Leuten zeigten. Dort waren wir die seltsamen Aliens. Hier treffen wir täglich auf andere Abenteurer und Draußen-Menschen – Norweger wie Ausländer.
Klar überwiegt der Wohnmobiltourismus deutlich alle anderen Arten (es ist einfach unglaublich wie viele Wohnmobile auf Europas Straßen unterwegs sind!), aber wir fühlen uns mit unserer Art zu Reisen nicht weniger willkommen und überhaupt nicht allein. Es gibt Viele, die kein Einfamilienhaus durch die Gegend bewegen, sondern mit kleinen Vans und Kastenwägen unterwegs sind, Dachzelte auf ihren PKWs haben oder eben ganz klassisch Zelten und offensichtlich die Einfachheit suchen! Zwar haben die Skandinavier das Radreisen noch nicht für sich entdeckt (wir können die norwegischen KollegInnen noch an einer Hand abzählen und haben auch erst einmal radreisende Finnen kennengelernt), sie wandern offensichtlich lieber und sind ansonsten eher motorisiert unterwegs, aber sie lieben es wie wir, Abends ihr Zelt irgendwo an einem schönen Strand aufzustellen, wollen einfach draußen sein, die Natur genießen.
Hier wundert sich daher niemand über uns. Hier werden wir für unseren vermeintlichen Mut und unsere scheinbare Verrücktheit so lange mit dem Rad zu reisen auch nicht bewundert sondern beglückwünscht und vielleicht auch beneidet. Wir haben das Gefühl, wenn wir von norwegischen Motorrad- und Autofahrern einen 👍 zu sehen bekommen, dass es dabei nicht um die Anerkennung unserer „Leistung“ geht, sondern um einen Ausdruck der Freude, dass wir uns auf das norwegische Leben im Freien einlassen.
Und wenn man mit ausländischen Wohnmobilisten ins Gespräch kommt, möchten diese ihr Gefährt zwar nicht gegen unsere tauschen, aber trotzdem sind auch sie mehrheitlich hier unterwegs, um die Natur zu erleben und nicht wegen des guten T-Shirt-Wetters 🤣. Wer hierher kommt, will im Urlaub aktiv sein, statt in der Hitze zu schmoren, zieht die Mücken dem Sonnenbrand vor, einfache Gerichte vom Gaskocher dem All-Inclusive-Buffet, den Genuss der Mitternachtssonne in Daunenjacke, dem Cocktail an der Strandbar. Und auch wenn es uns immer wieder nervt, wenn sich an besonders schönen Übernachtungsplätzen, Wohnmobile zu den Zeltern gesellen – da wurde das Jedermannsrecht in den letzten Jahren leider etwas arg aufgeweicht und überstrapaziert -, so eint uns Skandinavien-Reisende insgesamt doch die Lust auf die vielfältige Landschaft, möglichst unberührte Natur, Abgeschiedenheit, Weite und Freiheit.

In den letzten zweieinhalb Wochen sind wir über die landschaftlich wunderschöne Küstenstraße Fv17, auch als Kystriksveien bekannt, von Namsos nach Bodø geradelt, wo wir mit der Fähre auf die Lofoten übergesetzt sind.

Mit jedem Kilometer auf der „17“ und ihren kleineren Nebenstraßen entlang der Fjorde wurde die Landschaft schöner und dünner besiedelt. Vielleicht auch aufgrund des anhaltenden Regens hielt sich der Reiseverkehr trotz Urlaubssaison in Grenzen und wir fanden mehrere tolle Übernachtungsplätze und schöne Campingplätze auf denen wir immer mehr Radreisenden begegneten (und auch immer wieder den Selben). Höhepunkte der Küstenstraße waren die Überquerung des nördlichen Polarkreises auf der Fähre von Kilboghavn nach Jektvik, der Svartisen Gletscher, dessen Zunge fast bis in den Fjord reicht, und der Saltstraumen – der stärkste Gezeitenstrom der Welt mit seinen hypnotisierenden Wirbeln.

Die Lofoten waren dann wie erwartet wunderschön. Die Kombination aus Bergen und Meer ist einfach magisch – zumal der Sommer pünktlich entschied, endlich Norwegen einen Besuch abzustatten und die Panoramen Tag und Nacht in leuchtenden Farben glänzten: pittoreske Fischerdörfer, kleine Häfen mit ihren typischen roten Fischerhütten in engen Fjorden, versteckte Buchten mit türkisfarbenem, absolut klarem Wasser und weißen Sandständen und allgegenwärtig der Blick auf steile, felsige Berghänge und zum Teil noch schneegezuckerte Gipfel.
Leider waren die Lofoten aber auch, wie erwartet und befürchtet, absolut überfüllt. Der erste Campingplatz glich einem trubeligen Festivalgelände und weil die Fähre vom Festland rund um die Uhr fährt und die Mitternachtssonne konträr zum Konzept Nachtruhe zu stehen scheint, war an Schlaf nicht zu denken. Der Verkehr war abartig anstrengend (weshalb einige Radreisende vorziehen nachts zu fahren), die Einheimischen sind verständlicherweise genervt und ungeduldig von zu vielen Touristen und diese auf den schmalen Straßen mit ihren breiten Wohnmobilen überfordert. Und obwohl wir uns vorgenommen hatten, uns auf den Lofoten viel Zeit für Pausen und ein paar kleine Wanderungen zu lassen, haben wir sehr schnell davon abgesehen, „die Wanderung aller Wanderungen“ auf den Reinebringen zu machen: so schön kann die Aussicht gar nicht sein, dass wir uns gemeinsam mit den gestresst dreinschauenden Massen die fast 2.000 Stufen auf den 484m hohen Gipfel quälen. Der Entschluss wurde prompt belohnt: wir fanden einen wunderschönen, ruhigen Übernachtungsplatz, Thomas war beim Angeln erstmals erfolgreich und als wir da saßen und einfach nur den Tag genossen und aufs Wasser blickten, tauchte keine 100m vor uns aus dem Wasser ein kleiner Wal auf – wir vermuten ein Grindwal. Wir konnten unser Glück noch gar nicht fassen, als er ein weiteres Mal auftauchte und wir ihn ausatmen hören konnten und seinen Blas in die Luft spritzen sahen. Unser Lofoten-Moment! 

Auch wenn der Eurovelo uns dann teilweise über ruhigere Nebenstrecken führte, wir leichter als gedacht sehr schöne Übernachtungsplätze fanden, ohne den Trubel vom ersten Camping, der Regen uns weiterhin weitgehend verschonte und sich die Sonne regelmäßig blicken lies, sind wir die Inselkette dann doch recht schnell hochgefahren. Jetzt freuen wir uns auf die wohl wieder wesentliche einsamere Strecke, die vor uns liegt und sind sehr gespannt auf die Finnmark. Die deutlich dünner besiedelten nördlichen Inseln der Lofoten sowie die Insel Senja boten uns schon mal einen Vorgeschmack mit Rentieren, Elchen, Otter (inklusive Fisch im Maul), kargen Heiden, immer kleiner werdenden, verbuschten Birken und erfreulich wenig Verkehr. Zum Nordkap sind es noch 600 Kilometer, was bedeutet dass wir in etwa einer Woche den nördlichsten Punkt unsere Reise erreicht haben, acht Monate nachdem wir die Südwestspitze Europas umrundet haben.

Gestern Abend stellten wir unser Zelt an einem weiten Strand auf, umgeben von Bergen. Morgens saßen wir beim Frühstück mit Blick aufs Meer und durften ein Rentier beobachten, das durch die Dünen streift: Friluftsliv macht glücklich!

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