Zur falschen Zeit am falschen Ort?
Zur falschen Zeit am falschen Ort?

Zur falschen Zeit am falschen Ort?

Auch beim Reisen gilt: manche Tage sind besser als andere und manchmal sind gleich mehrere Tage hintereinander nicht so prickelnd… 

Alles fing damit an, dass uns Komoot mal wieder einen Streich spielte – ok, zugegeben, im Prinzip selbst verschuldet, weil wir die Einstellung nicht gecheckt haben, wieso diese aber plötzlich auf MTB statt Fahrrad stand, verstehen wir nicht so ganz, also schieben wir die Schuld bequem auf die Technik ;-). Das Navi schlug uns also ungefragt die Etappe nach Mazarrón als Mountainbikeroute vor, anstatt brav dem Eurovelo 8 zu folgen. Bis wir den Irrtum bemerkten, hatten wir schon einige Zeit und nennenswert Kraft in die eigentlich sehr schöne, aber mit Gepäck nicht wirklich fahrbare Strecke entlang der Küste investiert. Und leider war der Weg zurück zum Eurovelo mit zusätzlichen Kilometern und Höhenmetern verbunden, so dass wir am Ende des Tages gut 80km mit über 1.000hm und beachtlichem Offroad-Anteil auf dem Navi stehen hatten, als wir eher spät, hungrig und etwas matschig in Beinen und Birne den Campingplatz erreichten. Hunger und Matschbirne hatten dann zur Folge, dass der Personalausweis von Thomas an der Rezeption liegen blieb. Wir schieben in dem Fall eine Teilschuld auf die Dame dort, sie hätte uns ja vielleicht hinterher laufen können oder anrufen, unsere Platznummer war ihr ebenso bekannt wie unsere Telefonnummer, und dass ein Ausweis ein nicht ganz unwichtiges Dokument ist und der Besitzer den Verlust ggf. erst bemerkt, wenn er es wieder braucht und das üblicherweise Abends auf dem nächsten Campingplatz der Fall ist, könnte man sich vielleicht denken… 

Und genau das ist also geschehen, beim nächsten Check-In fehlte der Ausweis…, zwar „nur“ 70km und 500hm weiter, die aber leider überwiegend durch das weniger schöne Andalusien führten, auf staubigen Pisten vorbei an Gewächshäusern und Feldern. Also keine Stecke, die man zum Vergnügen und um einen Ausweis abzuholen noch 2x fahren möchte. Bedeutete: Mietwagen, 1,5h hin, Ausweis holen, 1,5h zurück und anschließend noch 50 sehr nervtötende Kilometer an der dicht befahrenen Nationalstraße und durch attraktivste Touri-Hochburgen Richtung Alicante zum nächsten Campingplatz, in der Hoffnung dass dieser schöner und günstiger sein möge, als der vom Vortag – was natürlich nicht geklappt hat. 

Das etwas schwierige Preis-Leistungsverhältnis der Campingplätze an der andalusischen Mittelmeerküste zählt nämlich neben der dichten Bebauung und dem dichten Verkehr auch zu den kleinen „Downern“, die die letzten Tage für uns bereit hielten. Ein knallharter, grob geschotterter Platz, in den man auch mit Hammer kaum einen Hering bekommt (O-Ton Nachbar: ohne Bohrmaschine geht da nix), und auf dem man bei jeder Bewegung im Zelt um Bodenplane, Matte oder Knie fürchten muss, ist „nur so mittelsexy“, wie Thomas gerne sagt. Wenn dafür dann noch 35-45 Euro aufgerufen werden, tut das schon weh. Was bringt uns „all-inclusive“ mit Strom-, Wasser- und Fernsehanschluss sowie Pool mit Aqua-Jogging-Kurs; oben drein natürlich besonders günstige Tarife für Langzeitgäste, ab 30 Tagen gehört man erst richtig dazu: Haben bzw. brauchen wir alles nicht! 

Schon in Portugal waren wir mit Fahrrad und Zelt die Exoten unter den Reisenden, aber da gab es wenigstens weichen Sandboden oder auch mal schöne Stellplätze in den Pinien- und Eukalyptuswäldern und wir trafen ab und an doch noch auf andere Reiseradler. Hier sehen wir diese gelegentlich auf der Straße, sind aber auf den Campingplätzen immer die einzigen mit Zelt (die anderen tun sich das scheinbar nicht an, nur wo übernachten sie?) und kommen uns zwischen den ganzen Wohnmobilen manchmal etwas verloren vor. Oben drein sind die Campingplätze in etwa so charmant wie ein Parkplatz mit Grünstreifen drum rum. Quadratisch, praktisch, gut liegt eine „Parcela“ neben der nächsten. Jeder Quadratzentimeter wird bewirtschaftet und vermietet. Und im Grunde sind die Campings eben nur noch das: Parkplätze. Obwohl auf dem Straßenhinweisschild für Campingplätze nach wie vor ein Zelt abgebildet ist, ist es ganz offensichtlich: Zelten findet hier nicht mehr statt und ist von den Betreibern nicht mehr vorgesehen.

Was wir uns vorher auch nicht vorstellen konnten: wie abartig voll es ist und wie viele Menschen es gibt, die jeden Winter 3-4 Monate in Spanien im Wohnmobil verbringen. Wir haben jetzt schon mehrfach keinen Platz mehr auf den Campings bekommen! Dabei fahren wir täglich zudem an x „Camper Parks“ und einfachen Wohnmobilstellplätzen vorbei, so wie an mehreren Hundert Wohnmobilen, die einfach so irgendwo an der Küste in einer Parkbucht stehen, gerne auch mal direkt neben den „no acampar“ Schildern. Scheinbar wird das Verbot nicht überall in Spanien durchgesetzt, zumindest nicht in der Nebensaison. Wobei „neben“ eh irgendwie Quatsch ist, so voll wie es ist. Und deswegen gelten auch nicht auf allen Campingplätzen günstigere Tarife… 

Wir wissen jedenfalls nicht, was bzw. wen wir befremdlicher finden: diejenigen, die sich mit ihrem 10-Meter-Edel-Wohnmobil plus Anhänger für die S-Klasse ungeniert irgendwo, wo es grad schön ist, an die Küste stellen, weil einem die Campingplätze entweder zu teuer sind (hahaha) oder man jetzt im Alter auch nochmal was erleben muss; Oder diejenigen, die sich für 6 und mehr Wochen auf einem Camping-Resort einmieten, den Stellplatz mit einem Zaun inkl. Türchen einfassen – für den Hund – und sich dank zum Platz gehörendem Supermarkt, Klamottenladen, Frisör, Spa und Animation für Jung und Alt während des gesamten Aufenthalts von diesem nur selten entfernen. Letztere bekommen, so scheint es uns, von Land und Leuten sehr wenig mit. Erstere schon eher, jedenfalls genießen sie die wenigen schönen Küstenstreifen und Buchten, die noch von keiner Strandpromenade und den zugehörigen Hotels dominiert werden, an vorderster Front. Wie wenig unberührt sie die Natur dann nach ihrem Aufenthalt hinterlassen scheint ihnen dabei egal. Jedenfalls kam es für uns nie in Frage, uns mit unserem Zelt zu den wild stehenden Campern zu gesellen. Zwischen Müll und Scheiße schläft es sich nicht so schön.

Sicher, Ausnahmen bestätigen die Regel und wir sollten nicht nur lästern! Wir treffen auf den Campingplätzen auch auf sehr liebe Menschen mit spannenden Geschichten und tollen Lebensentwürfen. Menschen, die ihr Haus oder ihre Wohnung verkauft haben und komplett in einem kleinen Wohnmobil oder Wohnanhänger leben und es einfach lieben, draußen und unterwegs zu sein. Wir hören tolle Radreise-Geschichten von Weltenbummlern, die mit Siebzig jetzt doch das Zelt gegen einen VW-Bus getauscht haben. Wir werden, wenn’s mal wieder kalt ist, in Wohnmobilen mit Kaffee versorgt, die ihre besten Tage seit langem hinter sich haben, oder bekommen Yogamatten angeboten, um auf dem Schotter im Zelt etwas mehr Komfort zu haben, und vieles mehr. Es ist für uns nur so erschreckend, dass wir hier, zusammen mit ein paar anderen, mit unserer Art zu Reisen, zu den Absonderlichen gehören. Hier kommt auf 100-200 neue Wohnmobile der Mittel- bis Oberklasse (also jeweils +100.000,- Euro) 1 „Freak-Kiste“, wie man sie eigentlich zwischen den Dünen erwarten würde. Und auf 20-30 dieser eher kleinen, älteren, einfachen oder selfmade Wohnmobile kommt 1 Radreise-Paar. Wir sind absolute Aliens und werden oft auch irgendwie so behandelt (außer von den anderen Aliens): neugierig begutachtet und beobachtet aber lieber nicht zu nahe kommen.

Oben drein ist es seit etwa einer Woche zunehmend kalt und bei 2-3 Grad frieren wir uns jetzt auf unseren ach so gemütlichen Stellplätzen auch noch den Arsch ab während die Nachbarn sogar das Vorzelt heizen, aber nie auf die Idee kämen, uns für ein Stündchen Unterschlupf zu bieten.
Ach ja, und dann sind da noch die Viecher, die einem den Schlaf rauben. Mit Hunden stehen wir ja seit Portugal auf Dauer-Kriegsfuß, weil die Tag und Nacht alles was sich in ihrem Umkreis bewegt, anbellen. Dass uns die Tölen dann aber auch noch unsere bislang einzige Nacht wild campen in der Zona de acampada Oltà am gleichnamigen Berg oberhalb von Calpe durch ihr stundenlanges Gekläffe versauen mussten, nehmen wir ihnen echt übel. Besonders der Kollege, der nicht begreifen wollte, dass nicht der Hund vom Nachbarn ihn anbellt, sondern er sein eigenes Echo hört, auf dass er dann bis morgens um 3 Uhr ununterbrochen antworten musste… Ja und dann durften wir erfahren dass auch rollige Katzen keine guten Nachbarinnen sind, wenn man gerne länger als 2 Stunden am Stück schlafen möchte. Das arme Ding hat wirklich gelitten, weil einfach kein Kater da war.
Und wo wir gerade dabei sind uns unseren Frust von der Seele zu schreiben und uns ja schon über die Müllberge der wild stehenden Wohnmobilisten aufgeregt haben: wie viel Müll die spanischen Autofahrer in die Straßengräben werfen, ist echt unglaublich. Gäbe es hier Dosen- und Flaschenpfand müssten wir täglich nur eine halbe Stunde sammeln und könnten uns davon locker ein gutes Abendessen oder Hotelzimmer leisten. Aber gäbe es ein Pfandsystem läge mutmaßlich nicht so viel rum… Jedenfalls ist es traurig und stimmt wenig hoffnungsvoll, was die Rettung unseres Planeten betrifft. Die Bequemlichkeit und Ignoranz bzw. Respektlosigkeit nicht nur der Umwelt, sondern ja auch den Mitmenschen gegenüber, scheint die Spanier selbst aber nicht zu stören, jedenfalls bekommen wir nichts davon mit. Und zu dieser generellen Haltung passt auch, dass der Müll nicht nur achtlos auf öffentlichem Grund entsorgt wird, sondern oft auch private Grundstücke völlig verdreckt und verwahrlost sind: stillgelegte Baustellen und halb verfallene Rohbauten, wo das Material verwittert; Bauschutt und Schrott, alte Elektrogeräte oder Autowraks neben der Haustür; ungepflegt Gärten mit zerrissenen Plastikplanen, kaputten Kanister und Autoreifen unter Bäumen und Sträuchern… Was wir als abweisend und trostlos empfinden, scheint die Einheimischen nicht zu kümmern, ebensowenig wie die Hundescheiße, die überall rumliegt…. Für und jedenfalls leidet da der Wohlfühlfaktor doch erheblich.

Vielleicht nervt uns das auch alles nur, weil es in Summe Zuviel ist, was zusammen kommt. Es ist nie alles immer nur toll, wir sind hier ja nicht bei Wünsch-Dir-Was, aber wenn die Radstrecken nicht schön sind, statt Landschaftserlebnis sich Agrarflächen mit Retortenstädten abwechseln, die Campingplätze eher ein Graus sind statt einladend und das Wetter herausfordernd, liegt die Frage nah, inwiefern sich Spanien für eine Radreise mit Zelt im Winter eignet: die Mittelmeerküste, wo es (einigermaßen bzw. überwiegend) warm genug ist, ist zu voll und bietet uns zu wenig lohnenswerte Strecken bei „zeltfeindlicher“ Campinginfrastruktur, mit der wir ja leben könnten, wenn der Fahrspaß gegeben wäre. Das bergige Landesinnere böte tolle Strecken, zwar keine Campingplätze aber theoretisch die Möglichkeiten einfach irgendwo im Wald das Zelt aufzuschlagen oder in einem sog. Refugio oder einer Zona de Acampada zu übernachten. Nur fallen da die Temperaturen nachts regelmäßig deutlich unter Null, es liegt gern mal Schnee und wenn 50km über 1.000hm bedeuten kommt man mit unserem Gepäck nur sehr langsam voran und womöglich kaum bis zum nächsten Ort mit Einkaufs- und Übernachtungsmöglichkeit, schließlich gibt es einen Grund, warum das dünn besiedelte Gebiet, durch das wir gerne fahren würden auch „Spanisch-Lappland“ genannt wird. Fazit: wir sind zur falschen Zeit am falschen Ort! 

Tagelang wägten wir also unsere Optionen ab, waren kurz davor in Zug oder Bus nach Frankreich zu steigen (wenn auch das nicht höchst kompliziert wäre, weil Räder nur verpackt transportiert werden) und haben uns jetzt doch entschieden weiter auf dem Eurovelo 8 der Küste zu folgen. Der ist seit kurz vor Valencia wirklich sehr gut ausgebaut und gut beschildert. Man bewegt sich weitgehend abseits vom dichten Verkehr und ganz gelegentlich bekommt man statt Orangen- und Mandarinenbaumplantagen und Gewächshäusern oder Hotelanlagen und Apartmenthäusern an den Strandpromenaden auch mal wirklich schöne Buchten oder Hügel zu sehen. Der angekündigte Regen hat uns gestern auch erst auf den letzen 3km so richtig erwischt und als kleiner Seelentröster haben wir uns einen Bungalow gegönnt und sitzen jetzt nicht im kalten, nassen Zelt zwischen den Wohnmobilen :-).

Also alles doof? Nein! Ernüchtert trifft es wohl am bestens, und ein wenig gefrustet, weil es so anders ist, als wir dachten. Thomas war hier vor 25 Jahren das letzte Mal zum Rennrad-Training und da sah das hier eben noch ganz anders aus. Und jünger war man auch, härter im Nehmen, weniger zimperlich und Komfort-versaut, weniger anspruchsvoll, weniger wissend, … 😉

Und wir sollten auch nicht vergessen zu erwähnen: die ersten Etappen im Neuen Jahr von Guadix über Tabernas bis Almería und von da bis Águilas waren sehr schön. Man kann schon verstehen, warum die Wüste Tabernas bei so vielen Hollywoodfilmen als Kulisse dient/e. Und das Naturschutzgebiet Cabo de Gata-Níjar östlich von Almería hat uns mit seinen schönen Bergen und Buchten ebenso begeistert. Angeblich ist dieser 50km lange Küstenabschnitt das am besten erhaltene Küstengebiet im europäischen Mittelmeerraum! Leider…

Und wir wissen, dass wir nochmal wieder kommen wollen: Galicien bzw. die ganze Nordküste Spaniens (Stichwort: Camino del Norte), die Sierra Nevada (Stichwort: Umrundung) und Spanisch Lappland (Stichwort: MontañasVacías und Camino del Cid) wollen wir unbedingt mit dem Rad erkunden. Zu einer anderen Jahreszeit – sprich im Frühjahr oder Herbst – und in einzelnen, kürzeren, sportiveren Touren mit minimalistischem Gepäck. 

Was wir mittlerweile auch wissen und weshalb wir unsere zwei Jahre Non-Stop-Europa-Reise mit Rädern und Zelt ganz generell in Frage stellen müssen: Italien und Griechenland bieten sich als Reiseziel für den nächste Winter noch weniger an als Spanien. Dort haben fast alle Campingpätze ab Oktober/November bis März/April geschlossen und auch dort schränkend die Temperaturen die Routenwahl im Winter deutlich ein. Wir müssen einsehen, dass weite Teile Europas perfekte Radreise-Ziele für Frühjahr bis Herbst bieten, aber non-stop unterwegs wird schwierig. Was auch bedeutet, dass wir noch nicht wissen, wie es im kommenden Herbst weiter geht, wenn wir von unserer Runde ans Nordkap zurückkommen. Ob wir dann eine Pause über den Winter einlegen, zum Langlaufen wieder in den Norden fahren oder doch auf die Südhalbkugel müssen? Wir lassen es auf uns zukommen und werden dann an dieser Stelle berichten 😉

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