Andalusien: erst Alb- dann Traum
Andalusien: erst Alb- dann Traum

Andalusien: erst Alb- dann Traum

Grauenhaft – so lautet unser Fazit zur Costa del Sol in einem Wort! Während wir uns an der Costa de la Luz (zwischen der portugiesischen Grenze und Tarifa bzw. Gibraltar) über wirklich schöne Radwege entlang der Küste und durch das Hinterland freuen durften und die Landschaft genossen, war damit auf dem Weg von der Südspitze Europas nach Málaga schlagartig Schluss. Mangels Radwegen führte unsere Route zunächst auf der viel befahrenen Schnellstraße, was nicht schön ist, aber wenigstens kommt man voran (und sieht eine Chance dem Elend möglichst rasch zu entkommen). Weil diese A-7 größtenteils dann als Autobahn aber für den Radverkehr gesperrt ist, mussten wir uns einen Weg durch die sogenannten „Urbanizaciónes“ suchen: seelenlose Retorten-Wohngebiete für zigtausende Touristen mit Zaun oder Mauer drumrum, Schranke und Sicherheitsdienst. Je dicker die Geldbeutel und größer das Geltungsbedürfnis der ausländischen Immobilienbesitzer desto exklusiver, moderner und größer sind die Apartments und Bungalows. Tennisplätze gehören zur Standardausstattung, meist auch der Golfplatz und wenn es ganz exklusiv wird auch der eigene Yachthafen und die Polo-Sportanlage. Durchsichtiger Pool auf dem Balkon: aber bitte doch, die Dürre können doch die anderen ausbaden! 

Eine dieser Festungsanlagen (oder: Touristenghettos), in denen sich die vornehmlich britischen und deutschen Gäste (aktuell wohl auch immer mehr Schweden, Marokkaner und Osteuropäer) von der schnöden Außenwelt abschotten, grenzt an die nächste. Immer neue Komplexe entstehen, obwohl bei den gerade fertiggestellten augenscheinlich viele Apartments und Villen noch zu haben sind (fast jede Anlage hat ihr eigenes Verkaufsbüro neben der Pforte) und gleichzeitig alte Anlagen verfallen, weil sie nicht luxuriös genug sind für heutige Ansprüche und Neubau schicker als saniert und modernisiert, so scheint es. Wie groß die Auslastung der Resorts tatsächlich ist, wissen wir nicht. Jetzt im Winter liegen sie teilweise fast ausgestorben da, im Sommer sieht das sicherlich anders aus. Aber dass es genug sonnenhungrige, betuchte Gäste für all diese Wohneinheiten gibt, können wir nicht so ganz glauben. Mal sehen wann die nächste Immobilienblase platzt… Aber wann schon wurde der Mensch aus Fehlern klug?

Zwischen all den Ferienresorts finden sich dann noch die weniger glamourösen Wohnsiedlungen, die aussehen als wären es ehemalige Ferienanlagen, in denen die Spanier leben, die ihren Lebensunterhalt mit dem ganzen Tourismuszirkus verdienen. Auf uns eher trostlos und ebenso abgeschottet wirkende reine Wohngebiete. Es scheint keine gewachsen Strukturen zu geben, keinen Dorf- oder Stadtkern mit kleinen Geschäften, Bars und Restaurants, wo sich das typische spanische Leben wie andernorts so hör- und sichtbar abspielt. Aber vielleicht haben wir auch nicht die richtige Gasse erwischt? 

Wie jemand freiwillig hier Urlaub machen kann, geschweige denn überwintern, ist uns ein absolutes Rätsel. Spanisches Leben, das ja vielleicht ein Grund sein könnte, hier unterwegs zu sein, aus unsere Sicht absolute Fehlanzeige, und landschaftlich schön ist es auch nicht (mehr). 

Gegen die Costa del Sol erschien uns die Algarve auf einmal als reinstes Urlaubsparadies, und schon aus diesem wollten wir ja so schnell wie möglich entkommen. Was dort dank der Radwege auch möglich war. Leider ist Radfahren an der Sonnenküste nicht vorgesehen – mutmaßlich nicht schick genug – und da jede Urbanización eine Enklave für sich ist, angebunden an die für Radfahrer verbotene A-7, ist es schier unmöglich einigermaßen flüssig da durchzukommen. In endlosem, Nerven und Kraft kostendem Zickzack haben wir uns durch die Anlagen gekämpft, zahllose steile Rampen rauf und runter, jeder Höhenmeter eine Qual, weil statt schöner Ausblicke auf Berge oder Meer nur die auf den nächsten Golfplatz oder das nächste Neubauprojekt warteten.

Der Höhepunkt der Grauens war mit Abstand Marbella. Wenn man den Ort googelt erfährt man „Marbella ist eine Küstenstadt an der südspanischen Costa del Sol in der Region Andalusien. Vor den Bergen der Sierra Blanca reihen sich auf einer Länge von 27 km am Mittelmeer Sandstrände, Villen, Hotels und Golfplätze aneinander. Westlich des Stadtzentrums von Marbella führt die Goldene Meile, ein Gebiet mit renommierten Nachtclubs und exklusiven Anwesen, zum Yachthafen Puerto Banús, wo vor noblen Boutiquen und Bars Luxusyachten vor Anker liegen.“ Das fasst es nüchtern betrachtet ganz gut zusammen, bringt unser Leiden aber nur unzureichend zum Ausdruck.

Das Tüpfelchen auf dem i neben der katastrophalen Streckenführung waren dann noch die Campingplätze, gerne verkehrsgünstig direkt an der rund um die Uhr viel befahrenen Schnellstraße gelegen und mit grob geschotterten „Parcelas“ bestückt, die zu 99,9% von den Wohnmobilen der sonnenhungrigen Überwinterern aus Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien oder Skandinavien belegt sind. Dass spitze Steine fürs Zelten nicht soooo angenehm sind und eine gewisse Gefahr für Zeltboden und Matten bergen, ist den Betreibern der Campingplätze bei der verschwindend geringen Anzahl Zelter schon fast verständlicherweise egal. Die Zeltwiesen, die es vor einigen Jahren wohl noch gab, wurden allesamt umgewidmet in einträglichere Stellplätze.

Ja, wenn man bei eher mäßigen, also niedrigen einstelligen Temperaturen und eher saumäßigen Bedingungen fürs Zelten den ganzen Abend auf Wohnmobile starrt während man dem Verkehr und/oder dem allgegenwärtigen Hundegebell lausch, fragt man sich schon, warum man nicht selbst auch so ein wärme- und schallisoliertes Gefährt hat. Aber ganz sicher nicht, um drei Monate am Stück am Stadtrand von Marbella inmitten abweisender Ferienanlagen den Winter zu verbringen! Tagesbeschäftigung: im oder vor dem Wohnmobil sitzen und mit den Nachbarn klönen, Bewegungsradius: kurzer Spaziergang auf der Standpromenade zum Sonne tanken (und wegen dem Mittelmeer ist man ja auch da) und dann noch zu Aldi oder Lidl (zu Weihnachten gibt es da Nürnberger Lebkuchen). Ein jedes Tierchen hat sein Pläsierchen, aber unseres ist das nicht 😉.


So, genug gelästert… 

Traumhaft – sind die weiten bergigen Landstriche Andalusien abseits der vom Tourismus übernutzten und verbauten Küste! Und deswegen sind wir schließen hier und genau da wollten wir jetzt hin. Zwar wurden die Bedingungen fürs Radfahren ab Málaga wieder besser (mal abgesehen davon, dass wir bei der Fahrt durch die Stadt in Summe etwa 1 Stunde vor roten Ampeln gewartet haben), wir hatten aber trotzdem die Schnauze gestrichen voll und nachdem die weitere Streckenführung an der Küste nichts Gutes verhieß, bogen wir früher als mal geplant war (wir wollten zunächst bis Motril fahren) ins Landesinnere ab, um uns durch etwas schönere, ruhigere und authentischere Landstriche in der Provinz Granada langsam auf den Weg zu unserer Unterkunft für die Weihnachtswoche zu machen: eine kleine Ferienwohnung im Ort Purullena nahe Guadix, 50km nordöstlich von Granada in der Sierra de Huétor auf 900m. Auch wenn in Andalusien die Sonne nicht nur an der Costa del Sol sehr oft scheint und uns seit Wochen tagsüber herrlich wärmt, herrschen in der Sierra Nevada und den umliegenden Berglandschaften im Winter durchaus auch mal niedrige Temperaturen; und wir mussten zwischenzeitlich einsehen, dass unsere Ausrüstung für bis 4-5 Grad zwar noch ganz gut taugt, insbesondere aber unsere Schuhe, Daunenjacken und Schlafsäcke für mehrere Tage am Stück um den Gefrierpunkt nicht wirklich ausreichen. So erschien uns eine feste Behausung für die Feiertage und den Jahreswechsel doch ganz angemessen 😎. Und einen Campingplatz gibt es in dieser Ecke, die wir unbedingt sehen wollen – Stichwort Wüste Gorafe/Badlands – sowieso nicht. Wild zelten als Alternative haben wir bei diesen Temperaturen und den doch arg kurzen Tagen nicht wirklich in Erwägung gezogen, vor allem nicht für mehrere Tage, weil offiziell ja nicht erlaubt und somit z.B. Feuer machen für warme Füße und warmes Wasser für die Katzenwäsche, keine so gute Idee ist. Und: Wir sind ja auch keine 25 mehr… 😂.

Weil es bis Weihnachten noch über eine Woche hin war und unser Ziel auf kürzestem Weg kaum mehr 400km entfernt, konnten wir sehr kurze Etappen planen, ein paar Umwege einbauen und Pausetage für Granada und drei schöne Wanderungen an den Stauseen Viñuela, Los Bermejales und Canales einbauen und das schöne Andalusien wirklich genießen.

In Granada – wir waren am Samstag vor Weihnachten in der Stadt – kamen wir uns, wie auch schon in Sevilla, ziemlich underdressed vor. Sich ordentlich herauszuputzen gehört in den spanischen Großstädten zumindest an Feiertagen und am Wochenende ganz offensichtlich dazu. Angesichts der Garderobe und im Falle der Damen auch des üppigen Make-ups wirkte es auf uns jedenfalls so, als seien die BewohnerInnen nicht beim Einkaufsbummel, sondern auf dem Weg zu einer Hochzeit, in die Oper oder den angesagten Nachtclub. Und beim nachmittäglichen obligatorischen Stelldichein in den Tapas-Bars geht es ganz offensichtlich neben den kulinarischen Genüssen und dem geselligen Beisammensein auch ganz viel um sehen und gesehen werden. Oh je, jetzt lästern wir schon wieder… Jedenfalls hatten wir unseren Spaß beim sehen ohne gesehen zu werden 😉. 

Die Etappen nach Granada und von da bis Purullena waren sehr, sehr schön: ruhige Bergstraßen oder Schotterwege mit kontinuierlichen und nicht so giftigen Steigungen durch wunderschöne, abwechslungsreiche Berglandschaften, weite Olivenhaine und echte andalusische Dörfer und Städtchen, wo wir in einfachen Bars besten Café und wohlmundende Bocadillos serviert bekamen. Kaum verlässt man die zugebaute und überfüllte Küste sind die LKW- und Autofahrer in Spanien entspannt und super rücksichtsvoll. Wir bekamen so manch aufmunterndes Hupen zu hören und sahen viele anerkennende Daumen von Rennradlern, die in den Ausläufern der Sierra Nevada ihre sportiven Runden drehen. Wobei Ausläufer eigentlich untertrieben ist: auf dem Weg zu unsere letzten Station vor Guadix, dem Stausee Canales bei Güejar Sierra, kamen wir an mehreren geöffneten Verleihstationen für Ski und Snowboard vorbei und vom Campingplatz aus konnten wir den schneebedeckten Mulhacén und benachbarte 3.000er sehen. 

Erschreckend für uns war der niedrige Wasserstand in den Stauseen. Die fürchterlichen Unwetter im November, die ja nicht nur die Region um Valencia, sondern eben auch die Provinz Granada und die Costa del Sol heimgesucht haben, haben daran nicht viel ändern können, auch wenn es anscheinend viel besser aussieht als vor einem Jahr. Neben dem allgegenwärtigen Müll in den Straßengräben – hoch lebe das Dosenpfand!!! Warum gibt es das nicht in Spanien? – ist der eklatante Wassermangel die zweite große menschengemachte Problematik unter der die Natur Andalusiens leidet, verursacht durch zu viel Tourismus und zu viel Landwirtschaft und die eh seltenen und inzwischen immer öfter ausbleibenden Regenfälle.

Jetzt sind wir an Heilig Abend in unserer Ferienwohnung angekommen und genießen einen sehr entspannten ersten Weihnachtsfeiertag auf der Couch. Es ist keine der begehrten Höhlenwohnungen, für die Purullena, Guadix und die Umgebung so bekannt sind. Dafür scheint die Sonne durchs Fenster und die Wohnung hat – neben dem Abstellplatz für die Räder ganz wichtig – ein Bett mit 1,90 Länge ohne Bettfuß, so dass auch Thomas entspannt schlafen kann. Mitunter sind kleine Ferienwohnungen und Pensionen in Spanien nämlich noch mit 1,80m-Betten ausgestattet… Wie schön es ist, für ein paar Tage, dem seit fast 6 Monaten mehr oder weniger alltäglichen Zeltab- und -Aufbau zu entkommen und Küche, Bad, Bett und Heizung zur steten Verfügung zu haben… ☺️.

Weit oben auf der Entdeckungswunschliste für die nächsten Tage stehen wie gesagt die sogenannten Badlands um Gorafe, wo diese unfruchtbaren, zerklüfteten Berge und Klippen aus Ton, Lehm und anderen erosiven Gesteinen und Sedimenten mit ihren tiefen, engen Schluchten besonders eindrucksvoll sein müssen. Bildhafte Namen für einzelne Erosionsformationen wie Los Filetes del Diablo und Los Coloraos sprechen für sich. Aber auch die direkte Umgebung von Purullena hat wohl so einiges an spektakulären Badlands zu bieten, z.B. die Cárcavas de Marchal, ein Tonmassiv mit vielen Höhlenwohnungen. Und auch Guadix wollen wir uns auf jeden Fall ansehen. 

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